April 7, 2009

Meine verlorene Heimat – Teil 1

Maria Ebhart,
(In dieser Serie veröffentlicht Frau Maria Ebhart ihre Lebenserinnerungen)

Ich „hielt Rigo an mich gepreßt und weinte bittere Tränen.“

Das Kriegsende im April 1945

Der schreckliche Krieg ging seinem Ende zu. Immer näher kam der Russe meinem Heimatdörfchen. Immer ängstlicher wurden die Menschen. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP rief zur Flucht auf. Wir sollten mit Ross und Wagen irgendwohin in den fremden Westen flüchten. Die Leute, die keine Fahrgelegenheit hatten, wurden den anderen zugeteilt.

Ich sollte Mutti und Frau Lehrerin K. mit ihren zwei Buben mitnehmen. Doch wir fürchteten das Ungewisse. Zuerst mussten wir Schützengräben bauen. Bald fuhren die ersten Familien mit ihren vollgeladenen Pferdewagen los. Die Menschen, die in der Heimat bleiben wollten, bereiteten sich ein Plätzchen vor, wo sie die schrecklichen Kampftage verbringen wollten.

Wir entschlossen uns, in unserem Sonnenberg einen Bunker zu bauen. Unser Nachbar B. mit meiner Freundin Trude bauten nebenan. Familie K. war auch nicht weit. T. war, um dem Volkssturm zu entgehen, als Mädchen verkleidet. Rosina und ihre Schwester bezogen einen Weingartenkeller.

Unser Bunker

Ich baute mit Anton einen Bunker. Wir gaben uns viel Mühe und nach 2 1/2 Tagen war das nette Bauwerk errichtet. Wir gruben ein richtiges kleines Zimmerchen aus dem Lehmboden. Auf die erhöhten Betten deckten wir Stroh und Matratzen. Ein Tisch und Bänke herum wurden aus Holz gezimmert. Es war auch noch genügend Platz für die zu verstauenden Sachen, zum Kochen und sich zu bewegen. Mit den Seitenbrettern eines Wagens wurde das Zimmerchen gedeckt. Die Stufen waren aus Lehm geformt.

Schließlich fielen in unserem Dörfchen auch schon die ersten Bomben und wir bezogen unser unterirdisches Heim: Mutti, Tante Veronika, Anton und ich. Mit zwei vollen Wagen zogen wir unsere Habseligkeiten bis zu dem Hügel. Von dort aus schleppte ich mit Anton Stück für Stück den Berg hinauf und alles wurde richtig verstaut. Durch Ziehharmonika und Spielkarten sorgten wir für Unterhaltung. Ein Fass Wein sollte die nötige Stimmung dazugeben. Zu essen gab es frisches Schweinefleisch, Würstel, Speck, reichlich Brot und Fett, Dunstobst usw. Jeden Tag fuhr ich mit Anton melken und füttern und brachte die nötige Milch heim. In unserem Haus waren nun schon Weißrussen einquartiert, die für Deutschland kämpften. Meine drei Freundinnen, die sich in der Nähe aufhielten, wurden natürlich auch häufig besucht. Ich war – trotz des Ernstes der Lage – immer lustig und munter. Schließlich brachte Anton noch eine mächtige Flasche Schlibowitz, die das deutsche Militär in unserem Hof stehen ließ. Das half uns über die schwere Zeit.

Doch immer näher rückte der Kriegsschauplatz, immer deutlicher vernahm man das Dröhnen der Geschütze. Unter unserem Bunker war eine «Dicke Berta» aufgestellt und ließ unser Bauwerk erzittern. Nikolsburg mit seinem Schloss brannte. Jetzt wussten wir noch ungefähr ein Tag.

Russeneinmarsch

Es war Montag, der 23. April 1945. Anton war alleine füttern gefahren, da der Russe schon zu nahe war. Wir saßen im Bunker beisammen, da kam Oswald, unser Nachbarbub, und rief: «Der Russe ist in Tannowitz!»

Trotz allem meinten wir anfangs, das sei ein Scherz, doch eilten wir heraus und vernahmen, von einer aus Tannowitz kommenden Frau, dass dies schreckliche Wahrheit war und dass wir sofort in unsere Häuser kommen müssen. Nun waren wir aber ratlos. Anton mit dem Wagen im Dorf und wir verlassen da. Wir saßen, weinten, warteten und beteten. Doch Anton kam nicht. Trude und unsere Nachbarsleute waren längst daheim. Wir berieten hin und her. Schließlich blieb Tante Veronika bei unseren Sachen im Bunker, während Mutti und ich mit Nachbars zweiter Fuhre heimfuhren. Links und rechts des Weges aufgeregte Menschen. Man rief sich etwas zu. Schon hörte man die ersten Schreckensmeldungen. Doch zuerst hörte man nur von «Stehlen und Plündern».

Zitternd haben wir das Dorf erreicht. Arm in Arm ging ich nun mit Mutti durch die Straßen. Überall Russen! Endlose Kolonnen hier, vereinzelte Reiter dort. Rufe – für uns unverständlich. Endlich war unsere Haustüre erreicht. Die Türschnallen abgebrochen, wir läuteten – Anton öffnete. Er konnte uns nicht holen, weil die Russen unser Pferdegeschirr mitgenommen hatten. Nun war er eifrig bemüht, etwas zusammenzustückeln, um die Sachen im Bunker zu holen.

Oh, welch ein Schreck, als wir in unsere Zimmer kamen. Die Schränke waren eingeschlagen. Die Sachen aus Schränken und Schubladen lagen am Boden. Alles, was schön und gut war, war längst nicht mehr da. Alle Türschnallen waren abgeschlagen. Schon kam ein russischer Offizier herein, bestellte Eierspeise, die er dann mit zwei Russinnen aß. Dann sollte ich das Geschirr spülen, als ich das nicht gleich verstand, zerschlug sie alles auf dem Boden. Auch im Hof waren Russen, zwei ältere, die schon im Weltkrieg waren, waren freundlich. Wieder andere befahlen mir, unsere Hühner für sie zu schlachten. In unserem Hof hatten sie nämlich eine Feldküche eingerichtet.

Gegen Mittag, als wir sahen, dass das Pferdegeschirr nicht so schnell zu reparieren war, ging ich mit Anton zu Fuß in den Bunker. Wieder durch endlose Russenketten. Schließlich trafen wir Rosina. Auch sie hastete voll Furcht in den Keller, einige Sachen zu holen. Schier endlos wurde der Weg. Plötzlich begann ein heftiger Regenguss. Es donnerte, blitzte und über uns pfiffen Granaten, sie stürzten donnernd zu Boden. Ringsum die Dörfer brannten. Endlich hatten wir den Bunker erreicht. Der war noch nicht ausgeplündert. Doch wir konnten nur ein Kofferl und zwei Säcke mitnehmen. Tante Vroni blieb bei den anderen Sachen noch draußen. Auch sie war kopflos. Der Regen hatte nachgelassen, doch durch Aufregung, hielten wir uns kaum auf den Beinen. Noch vor dem Dorf sagte man uns, dass Lia, mein flinkes Pferdchen, schon weg sei. Der erste schwere Schlag.

Kaum waren wir ein Weilchen im Hof, kam über die Mauer ein Russe und eilte auf Rigo, mein allerliebstes Pferd, zu. Alles Bitten half nichts, man nahm auch noch Rigo aus dem Stall. Dafür stellte mir der Russe ein altes, krankes Pferd in den Stall. Wie verzweifelt stand ich da, hielt Rigo an mich gepresst und weinte bittere Tränen. Dies war das Schwerste. Wie liebte ich doch Rigo, und nun sollte ich ihn nie mehr sehen.

Kaum war Rigo fort, musste ich Kartoffeln schälen. Am Weg zum Nachbar B. erwischten sie uns, uns ich musste mit Mutti und Anton die Schule ausräumen, da dort ein Lazarett eingerichtet wurde. Wieder begegneten wir nur verschüchterten Menschen. Wir arbeiteten und durften endlich gehen. Ein Blick die Straße entlang: Überall Feuer und Rauch. Es war zum Ersticken. Vor den Häusern russische Posten. Keine Zivilpersonen.

Einer ruhigen Nacht in Nachbar B’s Hofzimmerchen folgte wieder ein schrecklicher Tag. Abwechselnd mussten wir Kartoffeln schälen oder Zimmer reiben. Ich war zum Zusammenbrechen. Die ersten Schreckensnachrichten über Vergewaltigungen wurden laut. Eine Hochschwangere wurde vergewaltigt. Unser Bäcker F. und eine Großmutter, die ihre Enkelinnen schützen wollte, wurden bestialisch ermordet. Nicht nur viele junge Frauen, auch Tante Veronika wurde vergewaltigt. Die 85-jährige Frau I. wurde von 25 Russen vergewaltigt usw. usw.

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