und zerkratzte ihm das Gesicht
Maria Ebhart,
(In dieser Serie veröffentlicht Frau Maria Ebhart ihre Lebenserinnerungen)
Hausbesetzungen durch Tschechen
Die Freude, wieder ruhig auf den eigenen Feldern zu arbeiten, währte nicht lange. Tschechen kamen und besetzten zuerst deutsche Geschäfte. Bald besetzten sie auch die ersten Bauernhöfe. Noch hoffte ich, Anton würde unseren übernehmen. So sehr ich dies auch erwartete, er kam nicht.
Es war an einem warmen, regnerischen Tag. Ich kam mittags mit meinem Pferd vom Feld heim. Munter sprang ich vom Wagen. Da kam Mutti auf mich zu und sagte:»Unser neuer Verwalter ist schon da!» Eine Welt stürzte für mich zusammen. Ich glaubte zu träumen, doch es war bittere Wirklichkeit. «Nimm’s leicht!» sagte Mutti und ich gab den beiden die Hand. Kaum wußte ich noch was ich tat. Kaum hielt ich mich auf den Beinen. Das Schicksal hatte mir nichts erspart, doch niemand sollte merken, wie weh mir das tat. Ich lachte mit meiner letzten Kraft, arbeitete und lachte! Nur, wenn ich ein Weilchen allein war, weinte ich bitterlich. Sorgfältig verwischte ich jede Tränenspur. In Vaters Zimmer sollten wir wohnen. Um jedes einzelne Möbelstück mußten wir kämpfen, das heißt: bitten! Oh, wie war das schwer. Wir beide bekamen ein einziges Bett. Trostlos war das Leben. In mir klang es «Es ist alles zu Ende». Noch nie war ich abends so müde, so trostlos, so verzweifelt wie an diesem Tag. Ich ging, wie üblich, zu Rosina schlafen. Ja schlafen, daran war nicht zu denken. Ich weinte so schmerzlich, wie noch nie in meinem Leben, wälzte meine müden Glieder von einer Seite zur anderen. Es wurde Morgen, ich war noch genauso müde und verzweifelt wir abends, mußte heim, mußte arbeiten und lachen. Niemand ahnt, wie schwer das ist! Nun mußte ich mit dem Tschechen auf die Felder, mußte ihm meine Felder zeigen, die nun ihm gehören sollten. Ich tat auch dies, auch dabei lächelte ich. Ob das wohl echt aussah? Ich gab mir die größte Mühe. Wir fuhren von Feld zu Feld. Ich wandte ein letztes Mittel an und sagte, Anton wolle kommen. In meinem Innersten hoffte ich es ja noch immer. Der Tscheche stutzte, er hatte die Freude verloren. Schon am Abend sagte mir sein Schwager, er würde nicht bleiben.
Herr M. kam
Der erste Tscheche war wieder weg. Wie froh war ich. Endlich wieder frei, doch nicht lange. Noch am selben Tag kam Herr M. Er besah sich alles nur flüchtig, doch von der ersten Minute an, ahnten wir: der würde kommen! Wir hatten uns nicht getäuscht. Etwa eine Woche später kam er wieder, übernachtete am Boden – kam immer öfter. Dazwischen kam auch noch ein Dritter zur Hausbesichtigung. Doch der stürzte sich auf mich wie ein Russe. Da ich gerade am Nähen war, hatte ich eine Nadel bei mir und zerkratzte ihm das Gesicht. Da ließ er von mir ab und verschwand.
Wieder kam Herr M. und kündete seinen Einzug an. Er kam zuerst allein und war höflich und bescheiden. Er brachte einige Möbel und ein junges Pferd mir. Vorübergehend kam auch seine Braut. Nun wiederholte sich alles, wir zogen in Vaters Zimmer. Noch einmal mußte ich einem Fremden meine Äcker übergeben. Ich arbeitete bei ihm, war willig und folgsam; auch vor ihm versteckte ich mein Inneres. Er benahm sich gut und wollte mich gerne heiraten, dann würde er auf seine Braut verzichten. Niemals hätte ich das getan. Und wieder kam etwas Schweres auf mich zu. Er behielt die Kellerschlüssel. Das tat bitter weh, barg doch gerade der Keller so viele schöne Erinnerungen. War mir doch jedes Plätzchen vertraut. Wie war ich dort einst glücklich gewesen, wurde vergöttert, habe gelacht und gescherzt. Dieser Keller gehörte mir nicht mehr. Auch er gehörte dem Fremden! und dann heiratete er; ich wollte es ja so. Doch seine Frau war viel weniger rücksichtsvoll; sie war viel falscher und schlechter als er. Jetzt mußte ich wie ein Pferdarbeiten, doch auch sie war sehr sehr fleißig. Ich machte alles, holte unser Obst für sie heim, fuhr mit dem Pferd, fuhr Mist auf’s Feld. Ich machte die schwerste und schmutzigste Arbeit ohne zu murren. Nur alleine weinte ich. Oft mußte ich mittags das Essen auf die Wiese in Auschau bringen. Dazu borgte mir ein junger Tscheche, der beim Sengenschmied wohnte, sein Fahrrad. Als dies aber Frau M. merkte, verbot sie mir das und ich mußte den weiten Weg zu Fuß gehen. Einmal war ich mit Herrn M. auf der Wiese, da die Thajabrücke gesprengt war, mußte ich mit ihm auf dem Geländer den Fluß überqueren. Ich hatte Angst, wollte nicht, aber mir blieb keine Wahl. Deutsche durften nicht mehr alleine auf der Straße angetroffen werden und er ging über den Fluß. Also zog ich die Schuhe aus, Herr M. nahm sie in die eine Hand, mit der anderen führte er mich. Als wir die Mitte des Flusses erreicht hatten, verließ mich der Mut. Ich setzte mich auf einen Pfeiler, der stehen geblieben war und wollte nicht mehr weitergehen. Aber, was blieb mir übrig, ich mußte aufstehen und weiter ging es. Mit Gottes Hilfe haben wir das Ufer erreicht.
Und wieder kam Schweres auf mich zu. Herr M. vermisste die Seitenbretter eines Wagens. Er erfuhr, dass diese noch als Deckbretter auf unserem Bunker waren. Jetzt wollte er auch noch den zerstören. Alles Bitten half nichts; ich wollte wenigstens dieses Andenken an die letzten schönen Stunden in Freiheit behalten. Jetzt konnte ich mich nicht mehr beherrschen und weinte. Doch ihn, der mir alles genommen hatte, interessierte nicht, was mir der Bunker bedeutete. Er hatte ein Herz aus Stein. Ich zeigte ihm den Sonnenberg und er zerstörte den Bunker.
Da wir die Hälfte unserer Äcker verpachtet hatten, kannte ich ihre Lage selbst nicht. Nach unseren Aufzeichnungen mußte ich nun abends die einzelnen Pächter zusammentrommeln. Dazu borgte mir der junge Tscheche wieder sein Fahrrad. Überall, wo ich nun ankam, erschraken die Leute und dachten, es sei ein Hausbesetzer, da Deutsche kein Fahrrad haben durften. Am nächsten Tag fuhren wir dann mit all diesen Leuten auf dem Wagen, auch diese Äcker besichtigen. Auf der Straße mußten wir jetzt Armbinden tragen, die uns als Deutsche auswiesen. Das war allerdings den jungen Tschechen meistens gar nicht recht, denn sie unterhielten sich gerne mit uns und das sollten sie nicht. Als wir uns wieder mal mit jungen Tschechen unterhielten, gingen tschechische Frauen vorbei und schimpften: «Pfui, ihr steht hier mit Deutschen und unsere Töchter haben keine Tänzer!»
So gingen die Tage dahin. Am Tage arbeitete ich für M’s und nachts nähte ich für mich. Ich mußte mir ja wieder etwas zusammenstückeln, denn die Russen hatten ja alles, was sie erwischen konnten, mitgenommen.
Und wieder kam eine Begegnung mit Russen. Ich mußte die Straße kehren. Plötzlich standen zwei betrunkene russische Offiziere vor mir. Sie wollten mich mitlocken – zuerst freundlich, es ging nicht, dann böse, doch das ging natürlich auch nicht. Da vertrieb der eine alle Kinder, die in der Nähe waren und bedrohte mich mit dem Revolver. Ich hatte keine Angst. Ein Leben ohne meine Unschuld, hätte ich nicht ertragen. Ich wurde immer trotziger, der zweite Russe hatte Vernunft. Er versuchte es im Guten. Gottlob verstand ich ein paar Worte, die ja dem Tschechischen gleichen. Ich versprach abends ein Treffen; natürlich dachte ich gar nicht daran und schlief mal wieder bei Rosina. Dies war mein letztes gefährliches Erlebnis mit Russen. Mit Gottes Hilfe! Ich blieb verschont!
Wieder neue Schreckensnachrichten: Alle Deutschen sollten in ein Lager kommen. Eines Morgens schallte es durch den Lautsprecher: «Alle Mädchen sollen sich mit dem nötigsten Gepäck in der Turnhalle zum Abtransport versammeln!» Tränenlos, schweigend zog ich mich an, gab Herrn M. noch die nötigsten Anweisungen, sagte ihm, wo dies und jenes sei. Er versprach um mich einzureichen. Mutti wollte ihn darum bitten, doch das ließ ich auf keinen Fall zu; er tat es aber von sich aus. Ein Freund Antons kam und wollte mir helfen. Herr M. sprach mit ihm und ich hörte ihn sagen: «Sie war immer brav und folgsam, war freundlich und lachte. Nie war sie mürrisch, mir tut es leid um sie und ich mache alles, um sie zu behalten!» Und er tat es.
Mutti war natürlich furchtbar aufgeregt; wir Mädchen waren gefaßter. War es doch gemeinsames Schicksal, das uns verband. Einige weinten leise, ich tat es nicht. Vielleicht weil ich auf eine Befreiung hoffte.
Nun waren wir im Turnsaal versammelt. Anfangs sah es trostlos aus. Mehr als eine Stunde sprach Herr M. auf den Gendarm ein. Dabei verstand ich zufällig wie der Gendarm sagte: «Aber nur für 14 Tage.» Endlich durfte ich gehen. Auch Trude und Rosina waren befreit. Herr M. bat mich, seiner Frau nichts zu sagen, da diese schon auf meine Kleider wartet.
Nun beschlossen wir aber, nicht daheim zu bleiben, da der Abtransport ja wahrscheinlich nur aufgeschoben, nicht aufgehoben war.
Wir berieten hin und her, wie wir nach Wien kommen könnten. Kaum 8 Tage waren wir noch daheim. Zuerst marschierten wir nach Nikolsburg, um einen Grenzübertritt zu ermöglichen. Nach endlosem Warten, bekamen wir diesen.
Fortsetzung folgt