Gebot der Liebe im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
Rev. Prof. Dr. (Engg.) Varghese Panthalookaran
(M.Sc. Rajagiri School of Engineering & Technology)
Mit der Wahl von Papst Leo XIV. beginnt ein neues Kapitel. Er ist der erste Papst, der in den Vereinigten Staaten geboren wurde. Im Alter von 69 Jahren bringt er ein pastorales Herz und eine reiche internationale Erfahrung mit: Über zwanzig Jahre wirkte er als Missionar des Augustinerordens in Peru, lebte unter den Menschen und wurde sogar peruanischer Staatsbürger. 2023 wurde er von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben und leitete seither das vatikanische Dikasterium für Bischofsernennungen.
Am 18. Mai 2025 wurde er offiziell in sein Amt als 267. Nachfolger des heiligen Petrus eingeführt. Sein bewusst gewählter Name verweist auf Papst Leo XIII., der die Kirche durch die industrielle Revolution führte und mit der Enzyklika Rerum Novarum ein historisches Dokument zur sozialen Gerechtigkeit und zu den Rechten der Arbeiter verfasste.
Papst Leo XIV. erkennt in unserer Zeit eine vergleichbare Herausforderung – nicht mehr durch Fließbänder, sondern durch Algorithmen. Er spricht von einer neuen industriellen Revolution, ausgelöst durch die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI). Damit stellt sich der Kirche erneut eine fundamentale Frage: Wie kann der Mensch im Zentrum bleiben?
Er verweist dabei nicht nur auf ethische Risiken, sondern auch auf die geistliche Verantwortung. Denn auch im KI-Zeitalter bleibt das Gebot der Liebe der Maßstab:
„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ (Joh 13,34)
Die Liebe zu Gott und zum Nächsten bildet das Herz des Glaubens – und muss auch in einer zunehmend digitalisierten Welt gelten. Drei zentrale Herausforderungen ergeben sich:
Erstens: Die Würde des Menschen. Wenn Menschen nur noch als Datenpunkte behandelt werden, wenn ihre Identität durch Zahlen und Profile ersetzt wird, droht eine Entmenschlichung. Kein Algorithmus kann den Wert eines Menschen erfassen – nur der Blick der Liebe erkennt in jedem das unverfügbare, geliebte Geschöpf Gottes. Die Kirche muss hier entschieden eintreten – besonders für jene, die in der digitalen Welt übersehen, ausgegrenzt oder marginalisiert werden.
Zweitens: Die Frage der Gerechtigkeit. KI kann zur Vertiefung sozialer Ungleichheiten beitragen, wenn sie primär den Interessen der Reichen dient und ohnehin Benachteiligte weiter zurücklässt. Papst Leo fordert daher neue gesellschaftliche Strukturen – nicht allein von Effizienz und Profit geprägt, sondern von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Nur so kann Technologie dem Menschen dienen – nicht umgekehrt.
Drittens: Die Zukunft der Arbeit. Wenn Maschinen menschliche Arbeitskraft verdrängen, entsteht die Gefahr, dass Arbeit auf bloße Leistung reduziert wird. Dabei ist Arbeit mehr: Sie ist Berufung, Würde und Teilhabe. Eine menschenwürdige Arbeitswelt verlangt nach Schutzmechanismen und gerechten Chancen. Die Kirche ist gefordert, solidarisch mit den Arbeitenden zu stehen – auch in der digitalen Transformation.
Das Gebot der Liebe – als ethischer Kompass – muss dabei auch das Bildungssystem prägen. Denn es sind vor allem die jungen Menschen, die mit digitalen Technologien aufwachsen. Sie müssen nicht nur lernen, wie man KI bedient, sondern auch, wie man Mensch bleibt – mit Empathie, Gewissen, Gemeinschaftssinn und moralischer Urteilsfähigkeit. Kein Algorithmus kann diese menschlichen Qualitäten ersetzen. Sie wurzeln im tiefsten Kern: im Gesetz der Liebe.
Aus persönlicher Sicht ist es ermutigend, wenn Bildungsinitiativen bereits heute in diese Richtung gehen. Als Hochschullehrer konnte ich früh entsprechende Impulse setzen, unter anderem in drei Publikationen, die eine Pädagogik skizzieren, die gut mit der Vision des neuen Papstes harmoniert. Auch mehrere deutsche Universitäten haben mich eingeladen, über dieses Thema zu sprechen – ein Zeichen für ein wachsendes Bewusstsein in Wissenschaft und Gesellschaft.
Gerade im Kontext der Amtseinführung von Papst Leo XIV. bietet sich ein Moment der Selbstvergewisserung: Sind unsere ethischen Maßstäbe stark genug, um dem technologischen Wandel mit Menschlichkeit zu begegnen? Sind wir bereit, unseren Beitrag zu leisten, damit auch in einer Welt der Algorithmen das Gesetz der Liebe im Zentrum bleibt?
Die Herausforderungen der KI-Zeit sind gewaltig. Aber sie sind nicht größer als die Ressourcen, die der Glaube bereithält. Die Kirche ist nicht machtlos – sie hat alles, was sie braucht: das Evangelium der Liebe.