August 8, 2024
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Katastrophen decken neue Horizonte auf

Pater Cheriyan Menacherry CMI

(vom Buch: Cheriyan Menacherry, Wahrheit macht frei: Nachsinnen der Worte Jesu, Mauritius: Fromm Verlag, 2019, s. 98-100)

Das Wort Apokalypse, lässt uns sofort an das Ende der Welt denken, den Welt-Untergang: „In jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern, und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“ (Mk 13,24-25).

Ist Apokalypse wirklich etwas Erschreckendes? apokalutein heißt aufdecken.[1] Am Ende der Zeit wird etwas ganz Wichtiges aufgedeckt.

Trotz des bezaubernden Leuchtens von Sonne, Mond und Sternen, bleibt etwas ganz Wichtiges für die Menschen verdeckt, ist nicht zugänglich. Was ist das?

Beim Welt-Untergang geschieht eine, alle erschreckende totale Finsternis. Die Sterne fallen vom Himmel, das verursacht dann kosmische Erschütterungen. All diese Katastrophen sind nur die Vorbereitung auf die Apokalypse, das Aufdecken. Was wird aufgedeckt?

In der Nacht leuchten die Sterne bezaubernd am Himmel. In der Nacht ist die Sonne aber verdeckt, kein Sonnenlicht ist zu sehen. Aber, wenn die Sonne aufgedeckt wird (wieder aufgeht), (Apokalypse), wenn die Sonne langsam am Horizont hochsteigt, dann, im übertragenen Sinn, werden die Sterne verfinstert. Die Sterne sind noch da, nicht vom Himmel gefallen. Wir sehen die Sterne allerdings nicht mehr. Wenn das Sonnenlicht aufgedeckt wird, dann hat das Sternenlicht keine Bedeutung mehr.

Die Menschheit hat durch die Theologie und Philosophie, die Kirchenlehre, den Katechismus, Religionen und religiöse Symbole, viel Wissen von Gott. Die Menschheit hat auch Gottes-Erfahrung durch religiöse Rituale, heilige Messen, Gebete oder Meditationen. Trotz all dieses Wissens über Gott und die Erfahrung mit Gott, ist die Allmacht Gottes, das vollkommene Licht Gottes, ganz fern von uns allen. Wie Gott in sich selbst, so ist Er für die ganze Welt verborgen.

Illustration photo by Judith Cronauer.

Aber es bleibt nicht ewig so verhüllt. Es kommt ein Tag für den gesamten Kosmos, wenn Gott, wie Er ist, enthüllt wird. Davor kommt es zu einer kosmischen Erschütterung, so dass jeder Gott von Angesicht zu Angesicht sehen kann. Das ist das Ende der Welt: die Apokalypse, die Aufdeckung der Sonne von Gott. Jesus Christus sagte: „Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen.“ (Mk 13,26).

Mit dem Aufgang der Ewigen Sonne, Gottes Erscheinen am kosmischen Horizont, werden alle Dinge, wonach sich die Welt so sehr gesehnt und auch darum gekämpft hat, nicht mehr relevant sein. Sie werden verfinstert, und fallen plötzlich herunter ins Nichts.

Solch eine Apokalypse, Aufdeckung, erwarten wir nicht nur im kosmischen Szenario, beim Untergang der Welt. Es kommt auch im persönlichen Leben vor. Menschen werden bei verschiedenen persönlichen Katastrophen endlich Gottes Licht entdecken.

Vom Saulus zum Paulus! Es war die Leidenschaft von Saulus, Christen zu vernichten. Er dachte, mit dieser Aktion tut er etwas Gutes im Angesicht Gottes. Aber, auf seinem Weg nach Damaskus auf dem Pferd, wo er noch mehr Christen ins Gefängnis schicken wollte, kommt die Apokalypse. Die Aufdeckung von Christus, als das wahre Licht. Dieses Licht trifft ihn wie ein Blitz. Er ist vom Pferd gefallen und wurde blind. (vgl. Apg 9,1-22) Alles was er bis zu dieser Zeit für wichtig erachtet hatte, landet in der Finsternis, war irrelevant: Paulus schreibt: „ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen“ (Phil 3,8).

Nicht nur im persönlichen Leben, sondern auch für die Menschheit als Ganzes können Katastrophen in Form von schrecklichen Naturkatastrophen, furchtbaren Kriegen und schockierenden Pandemien auftreten. Die Folgen der Pandemie im Jahr 2020 haben bereits apokalyptische Ausmaße angenommen, denn sie erschüttern nun die gesamte Menschheit in all ihren Bereichen: politisch, wirtschaftlich, kulturell, moralisch und religiös. Es hat den Anschein, als würden nun alle bewährten Werte und Praktiken relativiert. Religiöse Autoritäten wägten zum Beispiel ab, ob die Teilnahme an religiösen Zeremonien über die Medien sinnvoll sei. Während der Pandemie forderten sie die Menschen auf, nicht in die Gotteshäuser zu kommen, und empfahlen den Gläubigen, die religiösen Zeremonien in den Medien zu verfolgen.

Bis Juni 2020 haben mehr als 500.000 Menschen ihr Leben verloren; die Welt tut sich schwer damit, zu schätzen, wie viele Menschen von dem Virus betroffen sind. Es gibt kein angemessenes Wort, um das menschliche Leid zu beschreiben, das durch den Verlust von Arbeitsplätzen und die mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln in verschiedenen Teilen der Welt entsteht.  Das hat die Armen sehr hart getroffen, denn die meisten von ihnen lebten von einem Tageslohn. Jetzt saßen sie alle in ihren Hütten, wenn sie überhaupt eine hatten, mit ihren unterernährten Kindern: ja, «die Plagen,..Tod, Trauer und Hunger» (Offb 18,8). Nicht nur die Armen, sondern auch andere sind auf die eine oder andere Weise von der Pandemie betroffen.  Die Ocean-Luxusliner, die eigentlich nur den superreichen Kunden eine luxuriöse Betreuung bieten sollten, entwickelten sich für sie zu einer schrecklichen Hölle.Die Litanei des Leidens, die apokalyptischen Ausmaßen gleichkommt, füllt die Spalten aller Zeitungen der Welt. Ja, alle sind von der Pandemie betroffen, fast so, wie es im Buch der Offenbarung steht: «Und die Könige der Erde, die Großen und die Heerführer, die Reichen und die Mächtigen, alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Höhlen und Felsen der Berge.» (Offb 6,15).

Um Trost und Hilfe von Gott zu erhalten, besonders in Zeiten der Not und des Leids, versammelten sich die Gläubigen in den Gotteshäusern. Plötzlich war es den Menschen nicht mehr erlaubt, die Gotteshäuser zu betreten. Unbewusst denken die Menschen vielleicht an das, was im Buch der Offenbarung steht: «Niemand konnte den Tempel betreten, bis die sieben Plagen … zu ihrem Ende gekommen waren..» (Offb. 15:8).

In dieser Zeit der fast apokalyptischen Katastrophe findet eine Art Apokalypse statt, eine Art «Aufdeckung», «Enthüllung».

In der erdrückend langen Zeit der Sperrung reflektieren die Menschen über ihr eigenes Leben: Sie beginnen zu erkennen, dass all das, was sie früher für sehr wichtig hielten, in ihrem Leben gar nicht so wichtig ist. Die unvermeidlichen extravaganten persönlichen und familiären Feiern zum Beispiel, bei denen viel Geld ausgegeben wurde, werden plötzlich eingestellt. Die Menschen begannen zu denken: Ja, wir können leben, ohne Geld für extravagante Galas zu verschwenden. Auch die religiösen Führer begannen, die Notwendigkeit zu überdenken, einige der Vorschriften für ihre Anhänger zu ändern, da sie feststellten, dass sie keine strengen Vorschriften für die Teilnahme an religiösen Zeremonien und Ritualen durchsetzen können. Als die Medien boomten, waren viele Menschen skeptisch und hatten sogar eine Art Allergie gegen die modernen Medien, insbesondere bei der Ausübung und Teilnahme an religiösen Ritualen und Zeremonien. Jetzt jedoch sind sie Gott für die Fortschritte der modernen Medien dankbar.  Die Menschen haben begonnen, über die Grundlagen und das Wesen ihrer Religion nachzudenken.

Am Horizont der Menschheit taucht ein außergewöhnliches Mitgefühl für die leidende Menschheit auf. Täglich wird in den Medien von herzerwärmenden Geschichten über helfende Hände berichtet.

Jahrelang empfahlen diejenigen, die über die Luftverschmutzung besorgt waren, weniger Flüge am Himmel, weniger Autos auf den Straßen usw. All diese Empfehlungen waren vergeblich. Doch plötzlich werden fast alle Flüge gestrichen, und die Menschen dürfen nicht mehr reisen.

Die Idee des Home Office war nicht neu. Aber bei der Pandemie zeigt sich, wie hilfreich sie sein kann. Mit dieser Praxis des Home Office begannen die Menschen, neue Vorstellungen davon zu entwickeln, wie man zur Arbeit geht, wie man im Büro ist usw. Zu Beginn des Ausbruchs der Pandemie und der Abriegelung waren die Straßen sogar zu den morgendlichen Stoßzeiten leer. Das hat vielen Managern und Geschäftsführern in der Welt zu denken gegeben: Ist es notwendig, dass wegen der Arbeit alle zwischen 8.00-10.00 Uhr morgens fahren müssen, was oft zu einem Verkehrschaos führt, oder ist es notwendig, dass Straßenbahnen und Züge mit Pendlern überfüllt sind? Die Reduzierung des täglichen Kraftfahrzeugverkehrs für Pendler kann die Umweltbelastung erheblich verringern.

Homeoffice bringt eine neue Dimension in das Konzept des Managements. Die Mitarbeiter müssen ins Büro kommen. Kommen die Führungskräfte vor allem ins Büro, um zu kontrollieren, ob die Mitarbeiter ihre Arbeit machen? Hier zeigt sich der Unterschied zwischen einer Führungskraft und einem Aufgabenträger. Die Vorgesetzten sind besorgt, dass die Mitarbeiter ihre Pflichten nicht erfüllen, wenn sie nicht vor Ort sind. Eine echte Führungskraft hat großes Vertrauen in ihre Mitarbeiter. Es ist allgemein bekannt, dass eine Person eine gute Führungskraft ist, wenn ihre Untergebenen die Anweisungen auch in ihrer Abwesenheit befolgen.

Die Umweltschützer waren besorgt über den Rauch, der aus den Schornsteinen der Fabriken aufstieg. Niemand hatte ein offenes Ohr für ihre Sorgen. Die Schornsteine stießen weiterhin kontinuierlich Rauch in die Luft aus.  Doch plötzlich hörten die meisten Schornsteine auf, Rauch in die Atmosphäre zu pumpen. Was viele internationale Mega-Umweltkonferenzen oder weltweite Großdemonstrationen wie «Fridays for Future» nicht erreichen konnten, hat das mikroskopische Virus indirekt zur Verbesserung der Umwelt beigetragen! In einigen Teilen der Welt haben die Menschen zum Beispiel jahrelang wegen der Umweltverschmutzung den Horizont nicht gesehen. Jetzt sehen sie einen klaren und neuen Horizont, insbesondere in den Megastädten.

Katastrophen, klein oder groß, sind im Leben ein Wachrütteln, eine Erschütterung der eigenen Kräfte. Was für eine Apokalypse, Aufdeckung oder Erleuchtung müsste eigentlich geschehen, um zu wissen, was im Leben wirklich wichtig ist? „Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.“ (Dn 12,3).

[1]Apokalypse (griechisch ἀποκάλυψις „Enthüllung“, wörtlich „Entschleierung“ vom griechischen καλύπτειν „verschleiern“ in Wikipedia, ‚Apokalypse‘ https://de.wikipedia.org/wiki/Apokalypse